Aufmerksamkeit
Das Handeln ist eines der anspruchvollsten Themen, die es überhaupt gibt.
Das hängt damit zusammen, dass beim Handeln - wenn es richtig laufen soll - innere und äußere Teile der Persönlichkeit auf eine höchst komplexe Weise zusammenspielen müssen.
Es war schon erwähnt worden, dass sich die menschliche Psyche in 2 wesentliche Teile untergliedern lässt:
- die äußeren und inneren Teile der Psyche
- äußeres und inneres Selbst
- Ego und Seele
- Alltags-Bewusstsein und Unter-Bewusstsein
Das ist immer die gleiche begriffliche Unterteilung in den verschiedenen geistigen Systemen.
Eines der Hauptprobleme einer materiellen Weltsicht ist die Unkenntnis des äußeren Selbst über die Existenz und die Möglichkeiten des inneren Selbst: Das Ego weiß nicht von der Seele oder nur theoretisch und nicht praktisch.
Das innere Selbst hat nicht nur sehr weitreichende Möglichkeiten (unter anderem die Lizenz zur (Um)Formung materieller Gegebenheiten), sondern auch sehr umfangreiche Aufgaben.
Denen kann es aber nur nachkommen, wenn das äußere Selbst korrekte Daten übermittelt (Erfahrung zulassen) und das Wirken des inneren Selbst nicht blockiert.
Da das äußere Selbst aber vom inneren Selbst nichts weiß, tut es genau das: Es halst sich die Aufgaben des inneren Selbst selber auf und wundert sich dann, dass es vollkommen damit überfordert ist.
Das ist nicht, Schuld und Schwäche des Egos (oder gar des Verstandes), wie in vielen geistigen Systemen irrtümlich angenommen, sondern es ist einzig und allein eine Folge einer Weltsicht, die nicht sehr viel mit der wahren Natur der Realität zu tun hat.
Ändert man die Weltsicht, kriegt man das Staunen, was aus dem viel geschmähten Ego so alles rauszuholen ist.
Aber zurück zum Thema:
Beim Handeln kommt es vor allem auf das richtige Zusammenspiel zwischen innerem und äußerem Selbst an.
Eine bevorzugte Variante des sich allein wähnenden Egos ist das sture Abarbeiten:
Es existiert im Vorhinein eine Vorstellung wie ein bestimmtes Handeln ablaufen müsse und die wird einfach durchgezogen. Da kommt das innere Selbst nicht zum Zuge.
Kennzeichnend für diese Art des Handelns ist eine gewisse innere Leere. Man hat das Gefühl, da passiert nicht wirklich etwas von irgendeiner Bedeutung und irgendeinem Nutzen.
Das ist die Art des Handelns, an die man üblicherweise zuerst denkt, wenn von Handeln die Rede ist. Deshalb erwähne ich das. Es ist aber nicht die Art von Handeln, die wir hier brauchen.
Gegenstand dieser Ausführung ist das Ansinnen, einen bestimmten Bereich des Handelns schrittweise wieder zu erschließen, der lange Zeit gemieden wurde, weil man mehrmals damit gescheitert ist oder weil es immer so unangenehme Gefühle auf den Plan ruft.
Stellen wir uns dazu am besten eine kreativ-schöpferische Tätigkeit vor wie das Spielen eines Instruments oder das Schreiben eines Buches oder was auch immer ein Mensch eigentlich gerne tun würde, wenn da nicht diese vielen Hindernisse wären.
Sehr wahrscheinlich ist es eine Tätigkeit, welche die tatkräftige Mitwirkung des inneren Selbst dringend nötig hat.
Was genau kann man also tun, wenn man in ein bestimmtes Handeln gehen möchte, welches eigentlich spontan und mit Freude von innen angetrieben sein müsste und von innen kommt aber gar nichts?
Man kann dem seine Aufmerksamkeit schenken bzw. die Aufmerksamkeit dahin ausrichten.
Das bedeutet, sich an den Handlungsansatz zu begeben - dorthin wo normalerweise ein freudiges, begeistertes, spontanes Handeln einsetzen würde und wo jetzt aber nichts geschieht, weil wir es eben mit einer Begrenzung zu tun haben, die sich erst einmal auflösen muss.
Man begibt sich also in genau die Situation: setzt sich an den Schreibtisch vor den Computer oder packt sein Instrument aus und stimmt es und ...
... setzt an!
Ja man setzt an, aber das heißt nicht, jetzt ein stures Handeln durchzuziehen.
Der Normalfall ohne Begrenzungen und sonstige Störungen ist der:
Man tut eine Sache einfach ohne sich weitere Gedanken darüber zu machen und genau in dem Moment, an dem das innere Selbst mit seiner Kreativität, seiner Kraft und Begeisterung gebraucht wird, ist es einfach da.
Das ist der ganz normale selbstverständliche Fall. Dahin wollen wir zurückkommen.
Es braucht keine besonderen Methoden und keines besonderen Wissens, um die Ressourcen des inneren Selbst anzuzapfen. Es ist vollkommen selbstverständlich und mühelos immer dann da, wenn es gebraucht wird.
In dem Fall, über den wir gerade sprechen ist es aber doch nicht da, weil sich eine Begrenzung herausgebildet hat, die es blockiert.
Also gehen wir genau an den Punkt, in dem die Mitarbeit des inneren Selbst normalerweise einsetzen würde und stellen uns der ganzen emotionalen Situation wie sie dabei hochkommt.
Es braucht dies ein bisschen ausprobieren und experimentieren. Nehmen wir als Beispiel einen Buchautor mit einer Schreibblockade:
Da wo das innere Selbst normalerweise munter wunderschöne Texte in die Hände fließen lassen würde, passiert nichts. Die Kreativität ist versiegt. Man geht also genau an den Punkt, an dem die Texte ausbleiben und schaut, was passiert. Vielleicht schreibt man ein paar Zeilen und schaut dann wieder, welche Emotionen das hervorruft. Man stellt sich der Situation und konfrontiert sich damit, wie jämmerlich vielleicht das erscheint, was da an Text aus der Feder fließt.
Diese emotionale Konfrontation wird die Gründe für die Blockade nach oben ins Bewusstsein heben.
Ich finde dafür die Wendung sehr passend ganz in der Situation ankommen. Sich in genau die Situation begeben, an der die Blockade sich äußert und sich dann der Erfahrung der Blockade ganz öffnen, sich hinenentspannen, alle inneren Widerstände schrittweise aufgeben, bis man ganz entspannt auf dem Grund dieser Situation des blockiert-Seins angekommen ist.
Dann kann man sich darin umschauen. Die Situation, die Erfahrung, die Gefühle verlieren ihren Schrecken. Man beginnt die Ursachen zu sehen. Man wird wieder handlungsfähig.
Das ist die Entkopplung des Handelns von der Situation: zu handeln beginnen in einer Situation, in der es so scheint, als ginge nichts mehr. Das bedeutet vor allem, dass die Aufmerksamkeit wieder mobil wird. Die Aufmerksamkeit traut sich wieder in Bereiche hinein, wo sie vorher nicht mehr hinwollte aus Angst, es könnte sich als wahr herausstellen, was war zu sein scheint, nämlich dass nicht möglich ist, was man sich so sehr wünscht.
Die Aufmerksamkeit ist das Instrument des Egos (äußeres Selbst). Das Lenken der Aufmerksamkeit ist die Domäne des Egos. Mit der Aufmerksamkeit kann man im Prinzip ganz einfach überall hingehen und schauen was passiert. Die Aufmerksamkeit ist die Geheimwaffe, um Lebensbereiche zurückzuerobern, in denen gar nichts mehr zu laufen schien. Die Aufmerksamkeit lasert die Blockaden weg. Dabei verhält sie sich aber vollkommen passiv. Sie richtet sich aus und lässt kommen, was kommt.
Die Aufmerksamkeit wird vollkommen frei, sich zu bewegen, wohin man will durch die Bereitschaft, sich den Gefühlen zu stellen, welche durch bestimmte Bewegungen der Aufmerksamkeit ausgelöst werden. Was Aufmerksamkeit festbindet, ist die Angst vor bestimmten Gefühlen.
Manchmal drängen Gefühle mit Macht nach oben und binden die Aufmerksamkeit. Nachdem sie das aber durften, wird die Aufmerksamkeit wieder frei. Dürfen sie es nicht, bleibt die Aufmerksamkeit gebunden.
Betrachten wir das Handeln mal als einen Prozess bestehend aus
1. Ausrichtung der Aufmerksamkeit
2. irgendeiner Art von Tätigsein, mit den Händen oder sonstwie
3. das Abliefern toller Resultate
Dann liegt der Schwerpunkt der Verantwortlichkeiten so:
Das Ego hat seinen Schwerpunkt im Lenken der Aufmerksamkeit (1.).
Das innere Selbst ist vor allem für das Entstehen guter Resultate verantwortlich (3.).
Den Bereich dazwischen (2.) teilen sie sich irgendwie.
Wir entlasten damit das Ego bzw. Alltags-Bewusstsein von seiner schweren Verantwortung, perfekte Resultate hinbiegen zu müssen.
Dafür bekommt es aber auch wieder ein bisschen was aufgebrummt: Lenken der Aufmerksamkeit und Öffnung für Erfahrungen.
Wenn Künstler, die schon mal sehr erfolgreich waren anfangen, plötzlich ziemlich bedeutungslose, flache Sachen abzuliefern, dann liegt es häufig auch daran, dass über bestimmte Blockaden einfach hinweggegangen wird. Das ist das Handeln der zweiten Art. Man zieht einfach äußerlich etwas durch, die Tatsache ignorierend und unterdrückend, dass da eigentlich von innen nichts Substanzielles mehr kommt. Ich persönlich finde aber diese Art des Handelns immer noch besser, als ganz aufzugeben.
Das ist ein sehr individueller Prozess: Man muss ganz allein selbst herausfinden, an welchem Punkt die Blockade genau liegt. Noch mal das Beispiel einer Schreibblockade:
- Für den einen kann die Blockade da liegen, wo er den Stift in die Hand nimmt und losschreiben will. Er wird vielleicht eine neue Einstellung zum Schreiben erkennen, die seine Texte wie verrückt sprudeln lässt.
- Für einen anderen kann die Blockade aber auch im Prozess des Schreibens an sich liegen. Der muss dann losschreiben, um im Schreiben zu erkennen, dass die Eigenwahrnehmung seines Schreibens vielleicht stark verzerrt ist: Seine Texte sind nicht so schlecht, wie er denkt.
- Und für noch einen anderen könnte die Blockade erst nach dem Abschluss des Ganzen liegen an der Stelle, wo er sie anderen präsentieren muss. Dieser jenige muss dann sein Werk abschließen, um an den Punkt der Blockade zu kommen, nämlich da, wo er es anderen zeigt.
Und nicht nur der Punkt, an dem die Blockade sitzt, wird von Mensch zu Mensch völlig verschieden sein, sondern auch die Lösung: Während es für den einen die Lösung ist, einen anderen Blickwinkel auf seine Arbeit anzunehmen, kann es für einen anderen die Lösung sein, seinen Arbeitsplatz umzugestalten oder zu verlegen oder oder oder ...
Es geht hier letztlich um Prozesse, die nur das eigene innere Wissen abschließend lösen kann.