Konzepte
Wenden wir uns jetzt dem grundlegenden Wesen von Sprache und rationalem Denken zu. (Ja, in diesem Buch geht es wirklich ans Eingemachte.)
Nun habe ich gerade ein ganzes Kapitel über Wahrheit verfasst und dennoch nicht gesagt, was die Wahrheit eigentlich wirklich ist!
Subjektive und objektive Wahrheit sind nämlich nicht die Wahrheit. Sie sind lediglich Beschreibungen der Wahrheit.
Die Wahrheit ist, wie die Realität wirklich und tatsächlich ist.
Der Mensch ist Wahrheit, weil er ein Teil der Realität ist.
Aber was er für Wahrheit verkauft, ist nicht die Wahrheit. Es ist eine Beschreibung der Wahrheit. Es ist eine Annäherung an die Wahrheit.
Wahr ist, was wirklich ist.
Die einen sagen "Die Materie war zuerst da und aus der Materie ist bestimmten Naturgesetzen sei Dank der Mensch mit seinem Geist entstanden".
Die anderen sagen "Der Geist war zuerst da und hat die Materie erschaffen, um sich einen Rahmen für bestimmte Erfahrungen zu geben."
Darüber kann man lange diskutieren, aber eins ist klar: Die Realität ist irgendwie. Daran gibt es nichts zu rütteln. Auch wenn einer gut diskutieren kann, wird er nicht ändern, was die Realität tatsächlich ist.
Die beiden oben genannten Aussagen sind lediglich Beschreibungen der Realität. Und das ist eine der Grundfunktionen von Sprache und rationalem Denken:
Beschreibungen der Realität (oder auch der Wahrheit) zu verfassen.
Und diese Beschreibungen können der Realität mehr oder weniger gut entsprechen.
Eine weitere Grundfunktion von Sprache und Denken wäre, diese Beschreibungen der Realität anderen Menschen zu kommunizieren.
Und damit ist klar: Die Wahrheit an sich ist nicht übermittelbar - zumindest nicht auf diese Weise. Die Wahrheit kann niemals von außen kommen. Die Wahrheit kann nur in sich selbst gefunden werden. Von außen können lediglich Hinweise kommen, die innerer Erkenntnis auf die Sprünge helfen.
Aber wie findet man heraus, welche Beschreibung der Realität mehr entspricht?
Man entscheidet sich für eine Sichtweise und schaut sich an, wo man ganz praktisch gesehen damit landet.
Läuft alles zur allgemeinen Zufriedenheit, braucht man nichts ändern. Fährt der Karren an die Wand, lohnt es sich vielleicht, neue Sichtweisen in Betracht zu ziehen.
Aber das ist geistige Weltsicht: Der Mensch kann sich in Sprache und Denken der Wahrheit nähern, aber er kann sie - zumindest mit diesem Instrument - niemals direkt erfassen.
Das Ziel ist es nun, Beschreibungen der Realität zu finden, die möglichst gut funktionieren.
Diese Beschreibungen kann man auch als Konzepte bezeichnen.
So wie eine Landkarte eine Landschaft beschreibt, so beschreiben die Konzepte die Realität (Realität = Wahrheit).
Es sind verschiedene Landkarten denkbar: Straßenkarten, Höhenkarten, Wanderkarten, Rohrverlegungskarten, Vegetationskarten.
Ebenso sind verschiedene Konzepte denkbar - je nachdem, welcher Zweck verfolgt wird, können andere Konzepte nützlich sein.
Konzepte sind Wegwerfartikel. Man wendet sie an, solange sie nützlich sind und legt sie ab, wenn sie zur Begrenzung werden.
Nicht nur, weil sie wie eine Vegetationskarte nur einem eng begrenzten Zweck dienen und man für andere Zwecke andere Karten braucht, sondern auch, weil sie lediglich Annäherungen an die Realität sind.
Und es ist klar, dass eine Annäherung, die zu einem Zeitpunkt gut ist, später vielleicht durch eine noch präzisere Annäherung ersetzt wird. Eine ungenaue Straßenkarte, mit der man sich oft verfahren hat, wird durch eine genauere Straßenkarte ersetzt.
Das ist die allgemeine Betrachtungsweise. Nun gibt es aber wieder dieses Konzept "Die Erde ist eine Kugel" Das stimmt doch, oder? Das ist doch nicht bloß eine Annäherung! Das ist doch die Wahrheit, wie sie ist!
Genau. Wie auch schon im letzten Kapitel gibt es wieder den Spezialfall eines Konzeptes, das Bestand hat.
Der Irrtum besteht lediglich darin, grundsätzlich an Konzepte den Anspruch zu stellen, Bestand haben zu müssen - eben wahr zu sein.
In materieller Weltsicht geht es immer darum "Ist ein Konzept wahr oder ist es falsch?"
Und in geistiger Weltsicht geht es darum "Nützt es mir JETZT?" Und auch wenn sich morgen herausstellt, dass es mir nicht mehr nützt, hebt das nicht auf, dass es mir heute genützt hat.