Krise und Transformation
Das Handeln entgegen der Materialisierung gibt es in verschiedenen Ausprägungen.
Der schönste Idealfall ist der:
Man hat ganz klar die Ursachen einer unerwünschten Erfahrung erkannt und kennt auch die neuen Ideen, welchen man sein Verhalten zukünftig folgen lassen wird. Man kennt in aller Klarheit die Lösung und sieht den Weg zu einer neuen Entwicklung vor sich. Zwar hat man noch eine Phase zu bestehen, in der die verwirklichten Erfahrungen noch nicht mit dem neuen Glauben übereinstimmen, aber das juckt einen nicht mehr, denn man ist sehr überzeugt davon, dass die neuen Ideen und das neue Verhalten auch zu neuen besseren Erfahrungen führen werden. Und das tun sie dann auch. Ich nenne diesen Prozess die Transformation.
Soweit so schön. Aber dahin muss man erstmal kommen. Was gerade beschrieben wurde beruht darauf, dass im Glaubenssystem Änderungen bereits vollzogen wurden, die lediglich noch nicht als Erfahrungen verwirklicht sind. Man wird zwar mit einer Reihe von Gefühlen konfrontiert, die das alte Verhalten nahezulegen scheinen, kann sich dem aber leicht stellen. Die neuen Ideen sind bekannt und sehr stark.
Aber was ist, wenn die Änderungen im Glaubenssystem noch nicht vollzogen sind?
Dann ist man mit einer unerwünschten Erfahrung konfrontiert und weiß aber nicht so richtig, wo sie herkommt. Man kann zwar die Erfahrung vielleicht benennen und damit auch die Idee hinter der Erfahrung, aber das nützt einem nichts, weil es ist eben einfach als unangenehme Tatsache erscheint, von der man nicht im geringsten weiß, wie das verschwinden kann.
Und damit haben wir das andere Ende der Spanne von Ausprägungen dieses Prozesses: die Krise
Zunächst, was kann man tun? Wo ist die Verhaltensänderung?
Die Verhaltensänderung besteht darin, die unangenehme Erfahrung hochkommen zu lassen mit allem was dazugehört: Ideen, Gefühle, Wahrnehmungen, Handeln, zu dem man sich gezwungen fühlt usw.
Die Verhaltensänderung besteht darin, alles einzustellen, was die unangenehme Erfahrung blockiert, überdeckt, wegdrückt und vor allem auch den ganzen wirkungslosen Aktionismus - so wie man ihn als solchen erkennt.
Diese Phase ist deshalb so kritisch, weil man die Lösung noch nicht kennt.
Man lässt zu, das die Krise sich verschärft, ohne dass man weiß, wie man da wieder herauskommen soll.
Man traut sich in eine Situation hinein, aus der es zunächst keinen Ausweg zu geben scheint.
Das kann man eigentlich nur dann, wenn man sich klargemacht hat, dass hinter dieser Welt mehr steckt, als man denkt. Und dass man vor allem selbst sehr viel mehr ist, als man denkt.
Man gibt der Krise Raum in dem Wissen bzw. Glauben dass sie sich lösen wird.
Was man dabei vor allem tut:
Man hört auf, auf die Idee hinter der Erfahrung zu reagieren.
Obwohl die Krise sich im Empfinden verschärft, wird aber eine weitere Verwirklichung der unangenehmen Erfahrungen gestoppt. Die Erfahrung wird lediglich zunehmend in dem Maße empfunden, in dem sie bereits tatsächlich verwirklicht ist.
Man reagiert immer weniger auf die Idee hinter der Erfahrung, aber man kennt noch keine alternativen Ideen. Man stellt bestimmte Verhaltensweisen ein, aber man kennt noch keine neuen Verhaltensweisen.
Man lässt sich einfach in die Krise hineinrutschen, in dem Wissen, dass das Durchleben von Erfahrungen ihren Hintergrund erhellt.
Die Krise führt zur Erkenntnis, wenn man aufhört, ihre Entwicklung zu blockieren.
Und mit der Erkenntnis werden die neuen Ideen klar, zeigen sich Wege und Lösungen und dann beginnt der eigentliche Transformationsprozess, so wie ich ihn eingangs beschrieben habe.
Im Grunde sind es nur verschiedene Ausprägungen des gleichen Prozesses, aber sie fühlen sich verschieden an in Abhängigkeit vom Grad der Erkenntnis der dahinter steht.
Das gibt es natürlich in beliebigen Ausprägungen:
- Beide Prozesse können nahtlos ineinander übergehen, so dass sie kaum voneinander zu unterscheiden sind: Es stellen sich schrittweise neue Ideen und neues Verhalten ein.
- Die Lösung kann darin bestehen, einfach nur eine bestimmte Idee und ein bestimmtes Verhalten einzustellen. Es gibt gar keine neuen Ideen und auch kein neues Verhalten. Die Lösung besteht einfach nur darin, nicht mehr von der alten Idee überzeugt zu sein.
- In meiner Erfahrung wechseln sich die beiden Grundformen des Prozesses häufig miteinander ab, was auch daran liegt, dass die Lösung für eine Krise vielfach auf einer anderen Ebene liegt als die Krise selbst.
- Eine Krise kann sich ganz direkt in Wohlgefallen auflösen, ohne dass es noch einen anschließenden Transformationsprozess gibt.
- Und es kann zu Erkenntnissen kommen, ohne das dem eine Krise vorausgeht.
Daran ist interessant, dass in den verschiedenen Phasen dieser Gesamtentwicklung scheinbar völlig gegensätzliche Verhaltensweisen angesagt sein können.
Noch mal zurück zum Beispiel vom Anfang des Buches "Die Welt im Chaos versinken lassen": Die Umkehrung des Prozesses immer größerer Hetzerei und Eile, um alles erledigt zu bekommen.
Der Transformationsprozess ist geprägt von bestimmten neuen Verhaltensweisen, von denen man weiß, sie werden irgendwann auch eine neue Erfahrung von Gelassenheit erzeugen:
- Man gönnt sich Pausen und Entspannung, auch wenn man das Gefühl hat, keine Zeit dafür zu haben.
- Man verhält sich in konkreten Situationen so wie man will, anstatt so wie es effektiv ist, obwohl man dabei das Gefühl hat, "wertvolle Zeit zu verlieren".
- Man erledigt die Dinge in aller Ruhe ohne sich treiben zu lassen, obwohl es einen noch treiben will.
- Man erledigt Dinge dann, wenn sie dran sind, anstatt sie gleich noch in den Feierabend vorzuziehen, damit man "morgen etwas mehr Zeit hat"
- Man erledigt eine Sache für sich zu Ende, anstatt gleich noch 10 Dinge "in einem Aufwasch" mitzuerledigen
All das beruht aber bereits auf geistiger Erkenntnis. Es werden neue Verhaltensweisen etabliert, nachdem einem einiges klargeworden ist.
Um zu solchen Erkenntnissen zu kommen, muss die Erfahrung aber erst einmal voll bewusst werden dürfen: die Erfahrung des Hetzens und sich beeilen Müssens, die Erfahrung des effektiv sein Müssens. Man konfrontiert sich mit der Erfahrung so gut man kann. Man stellt sich der Erfahrung, ohne jedoch schon eine Lösung dafür zu kennen.
Die Verhaltensänderung in der Krise ist vor allem davon geprägt, die schnellen wirkungslosen Aktionen, das verzweifelte Bemühen und jegliche Unterdrückung und Blockade einzustellen.
Das neue Verhalten nach der Verhaltensänderung bedeutet keinesfalls, das alte Verhalten zu blockieren. Das Verhalten zu dem man sich gezwungen fühlt, muss ablaufen dürfen, so lange man sich dazu gezwungen fühlt.
Die echten Lösungen bedeuten nicht, ein Verhalten zu blockieren. Die echten Lösungen sind klare Wege und Möglichkeiten, die man sieht.
Und das bedeutet auch, dass zu verschiedenen Zeitpunkten eines individuellen Entwicklungsprozesses völlig gegensätzliche Verhaltensweisen richtig sein können.
So viel zum Ansinnen materieller Weltsicht, Menschen mit allgemeingültigen Verhaltens-Regeln beglücken zu wollen.
Denn nicht nur, was für den einen richtig ist, muss für den anderen nicht richtig sein, sondern auch, was für den einen zu einer Zeit richtig ist, muss für den gleichen zu anderer Zeit nicht richtig sein.