Gefühle II
Ich hatte über viele Jahre eine ganz bestimmte Art und Weise, mit Gefühlen umzugehen:
Immer wenn Gefühle irgendwie im Anmarsch waren, legte ich mich hin und entspannte mich, um sie hochkommen zu lassen.
Das funktionierte manchmal und manchmal funktionierte es nicht. Im Laufe der Jahre bemerkte ich aber, dass es eigentlich überwiegend nicht mehr funktionierte und mein Leben schien ganz zum Stillstand gekommen zu sein. Es bewegte sich ganz einfach gar nichts mehr. Es war Zeit für neue Erkenntnisse.
Gefühle sind immer auf irgendeine Weise verbunden mit Ideen und Verhaltensänderungen. Und je nachdem wie ein Gefühl in Relation zu Idee und Verhaltensänderung steht funktioniert das mit dem einfach nur hochkommen lassen oder eben nicht.
Zunächst - was ist damit gemeint, wenn ich sage, es funktioniert?
Damit ist gemeint, dass ein Gefühl wie eine mächtige Welle anrollt, über einen hinwegrollt und dann verschwindet es. Es löst sich ganz auf. Und nicht nur das, es lässt einen befreit, erleichtert und oft auch glücklich zurück.
Dafür zwei Beispiele:
Ich hatte eine Beziehung beendet, weil mir klargeworden war, dass ich sie nur aufrechterhielt, um nicht alleine in meinem tristen Alltag herumsitzen zu müssen. Das war zu einer Zeit, als ich noch nicht begonnen hatte, zielstrebig auf die Verwirklichung meiner Träume hinzuarbeiten.
Nun war die Beziehung aber beendet und ich saß allein in meinem tristen Alltag. Das war aber nicht alles, was mich drückte. Da war noch etwas anderes. Da war eine bestimmte Idee und mit ihr verbunden ein großes Gefühl - ein sehr großes Gefühl. Es saß so ein bisschen unterschwellig und ich nahm es nicht voll bewusst war.
Aber die Idee hinter dem Gefühl drängte mich "Ruf sie an und sag ihr, dass du einen Fehler gemacht hast und die Beziehung weiterführen möchtest." So drängte es mich. Und man beachte, dass genau das die Stelle ist, an der das Gefühl mit einer Verhaltensänderung verbunden ist. Denn hier hatte ich zwei Alternativen: in die Beziehung zurückkehren oder das Ende aufrechterhalten.
In die Beziehung zurückzukehren hätte in diesem Fall verhindert, dass das Gefühl ganz herausgekommen wäre.
Ich entschied mich anders. Ich entschied mich, sie nicht anzurufen und stattdessen der Sache voll ins Auge zu schauen. Und da kam es knüppeldick:
Ich rang nach Luft, hatte das Gefühl, kaum noch atmen zu können und vergoss Bäche von Tränen. Für einen Moment war ich mit dieser Idee konfrontiert als sei sie eine unumstößliche und schreckliche Wahrheit. Und dann war es vorbei. Es zog genauso schnell ab, wie es gekommen war. Ich war völlig erschöpft und gleichzeitig glücklich. Eine gigantische Last war von mir genommen:
Die Idee stimmte ganz einfach nicht. Liebe hin oder her, es war genau richtig, eine Beziehung voller ungesunder Abhängigkeiten zu beenden.
Das Gefühl war über mich hinweggerollt und hatte eine irrtümliche Annahme vollständig und rückstandsfrei in einem Rutsch aufgelöst.
So ist es richtig geil! Ich weiß, dieses Wort sagt man nicht. Aber es gibt einfach nichts, was diesen Vorgang sonst wirklich treffend beschreiben kann. (Und meine Tochter hat das Wort nicht von mir sondern aus dem Kindergarten!)
Das Gefühl war hier auch deshalb so heftig, weil ich vorher nie gewagt hatte, die Idee richtig anzuschauen - aus Angst es könnte die Wahrheit sein - und deshalb hatte sich die Idee im Laufe meines Lebens mit vielen anderen Ereignissen verbunden und aufgeladen.
Für dieses Gefühl brauchte es nicht einmal Entspannung. Es kam mit solcher Kraft, dass nichts es aufhalten konnte. Aber es kam erst, nach zwei klaren Entscheidungen:
1. nicht in die Beziehung zurückzukehren
2. die Idee anzuschauen und das Gefühl hochkommen zu lassen - mich damit zu konfrontieren
Das ist im Vergleich zu früheren Gelegenheiten eben auch eine klare Verhaltensänderung. Und diese Verhaltensänderung musste der Auflösung von Gefühl und falscher Annahme vorausgehen.
Man beachte auch die klare Unterscheidung der Verhaltensänderung von der Reaktion auf das Gefühl:
- Die Reaktion auf das Gefühl wäre gewesen, in die Beziehung zurückzukehren. Das Gefühl taucht auf und will einen zu irgendetwas treiben. Das ist die Reaktion.
- Die Verhaltensänderung dagegen ist in keiner Weise getrieben. Sie ist ein selbstbestimmter und selbstbewusster Akt, der auf dem Glauben an die eigene Handlungsfreiheit beruht.
Beispiel 2:
Es kam ungefähr 4 Monate in der Zukunft eine sehr große Steuernachzahlung auf mich zu, eine Steuernachzahlung, die ich gegenwärtig nicht hätte leisten können. Seit Monaten schon bemühte ich mich, mehr zu arbeiten und genügend zu ersparen, aber es funktionierte nicht richtig. Weil ich nicht wollte. Es ödete mich total an, noch mehr arbeiten zu müssen.
Eines morgens direkt nach dem Aufwachen, flog mich der Gedanke an "Ich werde es nicht schaffen". Das war genau der Gedanke, der mich seit Monaten antrieb "Streng dich mehr an, sonst schaffst du es nicht." Nur dieses Mal kam er in etwas anderem Gewand: "Du wirst es nicht schaffen".
Und das ist jetzt genau wieder die Stelle mit den Alternativen:
1. entweder sich noch mehr anzustrengen
2. oder sich zu stellen
Ich entschied mich für die Konfrontation mit der Situation: Ich würde mich nicht weiter und mehr anstrengen, denn das war schließlich auch das, was ich die ganze Zeit schon getan hatte mit stetig steigendem Frust. Es musste eine andere Lösung geben. Das war genau die Verhaltensänderung.
Ich ging also ins Bett zurück, entspannte mich und ließ es hochkommen. An diesem Punkt war Entspannung genau die richtige Wahl. Es kam nach oben und schüttelte mich ordentlich durch. Die Angst schüttelte mich durch. Ich war direkt mit der Situation konfrontiert, eine große Forderung des Finanzamtes nicht begleichen zu können. (Man beachte, dass das die Konfrontation mit dem materiellen Anschein erfolgt und nicht mit einer "harten" materiellen Tatsache, denn die erwartete Forderung lag 4 Monate in der Zukunft und nicht heute oder morgen.)
Interessant ist auch immer wieder, wie starke Gefühle die verschiedensten Körperreaktionen hervorrufen können. Dieses Mal also schüttelte es. Manchmal kribbelt es auch auf der Haut oder es drückt im Kopf herum. Aber Angst schüttelt oft. Ich zitterte am ganzen Leib.
Dann war es vorbei. Die Angst war völlig weg und der Druck auch.
Und unmittelbar darauf kam ein Gedanke: "Schreib doch einfach jetzt dein erstes Buch. Erfüll dir deinen Traum. Dann ist es egal, was passiert. Du hast getan, was du wirklich wolltest und das ist wirklich wichtig."
Lange Rede kurzer Sinn. Ich tat genau das, schrieb das Buch und kümmerte mich nicht weiter um die Nachzahlung. Es geschah dann das Erstaunliche: Durch den Umstand mein erstes Buch wirklich geschrieben zu haben - und es war richtig gut geworden - war ich so euphorisch und glücklich, dass ich fast wie nebenbei ein Softwareprojekt nach dem anderen durchzog und die Nachzahlung bezahlen konnte.
So ist das mit dem Idealfall der Gefühle: Einmal richtig durch und alles ist gut.
Aber so ist das nicht immer:
- Nicht alle Gefühle haben diesen Riesen-Wellen-Charakter. Es gibt auch viele Gefühle, mit denen man über bestimmte Zeiträume hinweg immer wieder konfrontiert ist. Man kann ja auch nicht wochenlang im Bett liegen, sich entspannen und warten, bis die Gefühle es für nötig befinden, sich aufzulösen.
- Es gibt auch Gefühle die verschwinden ganz unauffällig: Die ganze Zeit waren sie da und eines Tages stellt man fest, dass sie schon eine ganze Zeit lang verschwunden sind.
- Andere Gefühle wiederum verschwinden nur dann, wenn man sich entschließt loszuhandeln. Nix mit hinlegen und entspannen! Da ist Action gefragt. Die Verhaltensänderung besteht im Loshandeln.
- Gefühle können sich sowieso nur dann auflösen, wenn die damit verbundene Verhaltensänderung bzw. die innere Entscheidung bereits erfolgt ist. Mit dem Entschluss die Beziehung aufrechtzuerhalten oder mich weiter anzustrengen, genügend Geld zusammenzuverdienen, hätte ich mich lange entspannen oder was auch immer können. Da wäre nichts hochgekommen.
- Krisen-Gefühle sind Gefühle vor der Verhaltensänderung. Sie verstärken sich solange, bis man kapiert, um welche Verhaltensänderung bzw. innere Entscheidung es geht. Da löst sich auch nichts auf durch Entspannung und Hinlegen. Da würde man höchstens besser mitbekommen, dass es sich auf diese Weise niemals auflösen wird.