Ein Gedankenexperiment
Ich verdiene Geld mit der Entwicklung von Software. Ein Softwareprogramm besteht aus vielen einzelnen Programmbefehlen.
Zum Beispiel
- "Öffne eine Datei"
- "Suche ein bestimmtes Wort"
- "Addiere zu einer Zahl Eins dazu"
- "Arbeite eine Liste ab"
Stellen wir uns einmal vor, diese Programmbefehle würden eines Tages ein Bewusstsein entwickeln. Sie würden sich fragen:
- "Wer sind wir?"
- "Warum sind wir hier?"
- "Welchen Sinn hat unsere Existenz?"
- "Wo kommen wir her?"
- "Wie sind wir entstanden?"
Und sie würden versuchen, Antworten auf diese Fragen zu finden.
Dabei haben sie aber folgendes Problem:
Ihre Existenz ist an elektrische Impulse, Schaltkreise, Festplatten und Kabel gebunden. Sie sind Teil einer Welt, die in unserer größeren Welt zwar enthalten ist, von der aus aber unsere Raum-Zeit-Welt nicht sichtbar ist. Sie können sich durch Prozessoren, Computer und Netzwerke bewegen, aber nicht durch eine Landschaft, wie wir sie kennen.
Sie wissen nichts von mir, der ich vor der Tastatur sitze und sie eintippe. Sie wissen nichts von den anderen meinesgleichen, welche die Hardware entwickeln und bauen, aus denen sich ihre Welt zusammensetzt.
Sie wissen auch nichts von ihrer ewigen Existenz als Idee und dass sie in unzähligen anderen Systemen auch zum Einsatz kommen.
Und sie kennen nicht die Bedeutung der Softwareprogramme, die sich aus ihrem Zusammenwirken ergibt.
Viele von ihnen ahnen zwar, dass sie in ein größeres Ganzes eingebettet sind, aber nicht alle sprechen darüber, denn da gibt es auch jene anderen, die behaupten:
"Wahr ist nur, was als elektrischer Impuls erscheint und was sich in Volt, Ampere, Widerstand und Kapazität messen lässt."
Und diese bilden gerade die vorherrschende geistige Strömung.
Da erscheint es ziemlich lächerlich zu behaupten: "Es gibt den Andreas, der uns eingetippt hat".
Denn dann werden sie sofort gefragt: "Wo bitteschön ist er denn? Zeig ihn mir doch mal."
Und genau das geht aber leider nicht. Denn der Andreas ist nicht in den Kabeln und Speichermedien. Er sitzt auf seinem Rücken-freundlichen Bürostuhl mit Organicmove-Synchron-Mechanik vor dem Schreibtisch, schaut in den Monitor und hackt auf der Tastatur herum.
Das ist natürlich eigentlich ein bisschen unfair: Ich kann durch den Monitor ins System hineinschauen, aber sie - die Programmbefehle - können nicht zu mir herausschauen. Aber so ist es eben. Bzw. genaugenommen ist es nicht unfair sondern einfach eine Form von Konzentration auf das Wesentliche.
Und so ist die vorherrschende Lehrmeinung unter den Programmbefehlen: "Softwareprogramme entstehen durch Evolution aufgrund von Naturgesetzen."
Ich bin ihnen nicht wirklich böse, dass sie meine Existenz so verleugnen, denn ich weiß ja, dass sie meine Welt nicht direkt wahrnehmen können. Aber tief im Inneren bin ich schon ein bisschen gekränkt und denke: "Wie könnt ihr nur glauben, dass so etwas Wunderbares wie meine Softwareprogramme per Zufall entsteht?"
Eines Tages stellen sie (die Programmbefehle) sehr erschreckt fest, dass die Festplatte schon ziemlich fragmentiert ist und der Prozess immer weiter fortschreitet. Sie schreiben sich selbst die Schuld zu und beginnen hektisch und sich gegenseitig die wildesten Vorwürfe machend große und teilweise recht absurde Anstrengungen zu unternehmen, das Problem irgendwie zu beheben. Dabei malen sie sich die erschreckendsten Horrorszenarien aus: "In einer nicht allzu fernen Zukunft wird der Prozessor nur noch mit Speicherverwaltung beschäftigt sein und nichts anderes wird mehr ablaufen können!"
Ein bisschen schadenfroh denke ich "Das habt ihr nun von eurer Ignoranz und dass ihr von meiner Existenz nichts wissen wolltet." Denn ich habe das Problem natürlich auch bemerkt und längst das Defragmentierungsprogramm gestartet.