Spontaneität
Ein weiterer Grund aus dem gegenwärtigen Moment wegzustreben ist die Angst, dass nichts geschieht.
Man stelle sich einmal folgende Situation vor: Man hat vergessen das Geschehen einer bestimmten Situation vorauszubestimmen und zu planen und plötzlich ist die Situation da und es geschieht - nichts! Man steht oder sitzt nur dumm herum und es passiert ganz einfach überhaupt gar nichts. Der Moment bleibt völlig leer.
Das wäre schrecklich!
Um dem vorzubeugen wird sehr viel vorausgeplant und festgelegt. Damit das eben beschriebene Horror-Szenario nicht eintreten kann.
Nun ist es wie schon erwähnt so, dass die eigentliche Identität des Menschen sehr viel umfassender ist, als im Alltags-Bewusstsein üblicherweise wahrgenommen wird. Sie umfasst noch das innere Selbst, das in anderem Kontext auch als Seele betitelt wird. Und das innere Selbst hat die Vorliebe, Momente spontan auszufüllen.
Das weiß man aber nicht, weil materielle Weltsicht das nicht vorsieht.
Da ist auf der einen Seite die Vorstellung, man müsste sich darum kümmern, dass in einem konkreten Moment auch tatsächlich etwas geschieht, weil sonst ganz einfach nichts geschieht und da ist auf der anderen Seite ein inneres Selbst, dass darauf spezialisiert ist, diese Momente einfach so ohne zu fragen auszufüllen und auch ohne vorher seine konkreten Pläne schriftlich einzureichen.
Über den Konflikt, den das auslösen kann, sprechen wir im nächsten Kapitel. An dieser Stelle geht es zunächst mal um Entlastung: Das stresst nämlich auch ganz schön, wenn man auf Ego-Ebene versucht, die Spontaneität der Seele zu ersetzen, weil man nichts von ihr weiß.
Man kann es sich zwar im Vorhinein absolut überhaupt nicht vorstellen, aber wenn ein konkreter Moment da ist, dann füllt er sich - ganz selbstverständlich, mühelos und von allein und oft auch auf überraschende Weise.
Genaues Hinschauen löst diesen Irrtum immer mehr auf. Oft wird die Diskrepanz zwischen bestimmten Vorstellungen und dem, was dann tatsächlich geschieht, nicht ausgewertet.
Wenn man immer nur alle Abläufe vorausplant und das innere Selbst mit seiner Spontaneität nie zum Zuge kommen lässt, dann verliert es irgendwann die Lust. Und dann verwirklicht sich die Idee als Erfahrung und es passiert tatsächlich nichts, wenn man mal nicht vorgesorgt hat.
Wenn es erst einmal soweit gekommen ist, dann muss man sich dieser Erfahrung stellen: der Angst vor dem Nichts, der Angst vor der Leere. Dann scheint es nämlich tatsächlich einzutreten, was man so sehr befürchtet hat.
Indem man sich dem Nichts und der Leere aber mutig anvertraut, wird man feststellen, dass das Nichts nicht nichts ist und die Leere nicht leer.
Natürlich macht man Pläne, darum geht es nicht. Natürlich muss man zum Beispiel planen, in den Urlaub zu fahren oder jemanden zu besuchen. Es geht hier eher um den ganz konkreten Ablauf des Geschehens.
Und es spricht natürlich auch gar nichts dagegen, selbst das vorauszuplanen - wenn man das auch ein bisschen als Vorschlag sieht und sich dem Geschehen dann auch anvertraut, wenn es einen anderen Verlauf nimmt.
Es ist ein häufiger Irrweg, der Spontaneität des inneren Selbst nun alles aufzuhalsen, nachdem man gemerkt hat, dass der Versuch der Kontrolle des Geschehens auf Ego-Ebene nicht funktioniert. Dann wird komplett umgeschwenkt: Das Ego darf gar nichts mehr und das innere Selbst soll alles machen. So geht es auch nicht.
Man kann sich das wie eine Art Dialog zwischen innerem und äußerem Selbst vorstellen. Beide sind an der Entwicklung des Geschehens beteiligt. Es ist durchaus nicht so, dass es erst nur das Ego war, was das Geschehen planen wollte und nun ist es nur das innere Selbst, das alles spontan macht. Es ist ein sehr subtiles Zusammenspiel, das sich mit ein bisschen geduldigem Herumprobieren leicht in Gang setzen lässt.
Diese Art von Spontaneität ist im Übrigen auch die Grundlage der Kreativität. Sie ist das Wesen der Kreativität. Unter Erwachsenen wird sehr viel gerätselt, wie man denn kreativ sein oder werden kann. Und das ist insofern ein bisschen absurd, als Kreativität das grundlegende Wesen des Menschen darstellt. Bei Kindern ist es noch intakt vorhanden. Sie sind absolut ununterbrochen kreativ. Ohne jede Pause. Man kann sie unterbrechen, ablenken, anderweitig beschäftigen, sie aus einem Spiel herausreißen - bei der ersten sich bietenden Gelegenheit werden sie sofort schon wieder kreativ und entwickeln irgendwas anderes: aus den seltsamsten Hilfsmitteln und in den scheinbar ungeeignetsten Situationen.
Kreativität irgendwie erlernen zu wollen ist ein unsinniges Unterfangen. Sie wird einfach so im Übermaß wieder da sein, sobald sie nicht mehr blockiert wird.
Kreativität kommt aus der Leere. Sie kommt aus dem Nichts. Mit diesem Wissen kann man sich mit dem angeblichen Nichts recht gut wieder anfreunden.