Geld verdienen - ein Beispiel
Ich verdiene mein Geld mit der Auftragsentwicklung von Software. Das heißt, ich setze die Software-Ideen anderer Leute in Software-Programme um. Das macht nicht immer Freude bzw. stellte ich irgendwann fest, dass es eigentlich überwiegend keine Freude machte und eher sogar sehr quälend war.
Ich schaute also nach den Ursachen:
"Problem erkannt!" stellte ich nach kurzer Zeit fest und hatte messerscharf geschlussfolgert:
"Arbeit macht keinen Spaß" bzw. "Geld verdienen macht keinen Spaß"
Welche Idee steht hinter dieser Erfahrung?
Folgende Idee: "Um Geld zu verdienen, muss ich etwas tun, das keinen Spaß macht. Denn mit dem, was mir eigentlich Spaß macht, kann man kein Geld verdienen."
"Kein Problem! Ich stelle mich der Sache und in kurzer Zeit ist es aus der Welt." dachte ich enthusiastisch und hörte einfach damit auf, Auftragsentwicklung zu machen und machte nur noch, was mir Spaß macht.
Was aber passierte, war folgendes: Ich geriet mehrmals an den unmittelbaren Rand des Ruins.
Immer in letzter Minute gelang es mir noch, das Ruder herumzureißen (diese Welt ist viel gutmütiger als man denkt).
Aber es brauchte immerhin drei Mal, ehe ich begriff: "So geht es nicht!"
Das war eine gute Gelegenheit, sich mit Existenzängsten auseinanderzusetzen - ich empfehle es aber dennoch nicht zur Nachahmung.
Ich stellte bei der Gelegenheit fest, dass es Gefühle gibt, die einen Menschen sicher vor Crashs bewahren. Voraussetzung ist eigentlich nur, für Gefühle offen zu sein. Ich hatte es ja darauf angelegt, die Grenze auszutesten und zu sehen, was denn nun tatsächlich passierte, wenn ich einfach dabei blieb, nur noch zu tun, was mir Freude macht und nichts mehr, das ich nicht will, nur fürs Geld verdienen. Doch je mehr ich auf den Punkt zusteuerte, an dem mein Geld alle war, um so stärker wuchs ein Gefühlsdruck, der zum Schluss wirklich kaum noch zum Aushalten war. Ich war es ja seit längerer Zeit gewohnt, mich Gefühlen zu stellen und zu öffnen und dachte zunächst "Das ist zwar ganz schön heftig, aber irgendwann bin ich durch."
Aber es hörte nicht auf. Und irgendwann war klar: "Da geht es nicht lang."
Ich musste also - ob ich es wollte oder nicht und ob es Spaß machte oder nicht - mit Auftragsentwicklung weitermachen. Diese Alternative war auch nicht viel besser, denn mittlerweile ödete es mich wirklich total an. Aber ich zog es durch:
- Ich arbeitete für Leute, die ich nicht leiden konnte
- realisierte Projekte, die ich für völlig sinnlos hielt
- ließ mir eigene gute Lösungen ausreden, um ziemlich schlechte Alternativen zu akzeptieren
- ließ mich völlig überflüssig unter Zeitdruck setzen
- und hörte mir an, wie Kunden meine Leistungen schlechtredeten
Es war erniedrigend, quälend und demütigend. Aber es war der einzige gangbare Weg.
Und es brachte die Lösung zum Vorschein (wie das eben immer passiert, wenn man sich einer Erfahrung wirklich stellt):
Ich erkannte die Stelle, an der ich auf die Idee reagierte
"Fürs Geld verdienen muss ich Dinge tun, die keinen Spaß machen"
in einer Weise, die gar nicht durch materielle Randbedingungen erzwungen war.
Ich überreagierte auf diese Idee über die echten materiellen Grenzen hinaus. Ich handelte nach Annahmen, die nicht einer materiellen Realität entsprachen und der geistigen Realität schon gar nicht.
Und zwar geschah das da, wo ich neue Aufträge annahm. In der Angst, ich könnte zu wenig Aufträge haben, nahm ich immer wieder Aufträge an, von denen ich schon im Vorhinein wusste, dass sie gar nichts für mich sind. Aber das war bei weitem nicht bei allen Aufträgen der Fall. Es gab nämlich auch eine ganze Reihe von Aufträgen, die mir richtig Spaß gemacht hatten. Das hatte ich aber vorher nicht gesehen, weil ich so auf die Tatsache fixiert war, dass es keinen Spaß macht. Ich hatte die "guten Aufträge" gar nicht mehr wahrgenommen. Und tatsächlich hatte es sich auch so zugespitzt, dass ich schon eine Zeit lang gar keine guten Aufträge mehr gemacht hatte. Es gab sie aber bzw. es hatte sie gegeben.
Die Lösung war also, bei der Auftragsannahme konsequent auszuwählen und mich dabei der Angst zu stellen, dass es finanziell deshalb nicht reichen würde. Immer wenn ich wieder mal einen Auftrag abgelehnt hatte, wurde ich mit der Angst konfrontiert, wieder in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Es stellte sich aber das komplette Gegenteil heraus:
Ich begann, die schlechten Aufträge konsequent abzulehnen und das Seltsame war, die guten Aufträge nahmen ganz erstaunlich zu.
Mir wurde jetzt auch klar, dass ich, als ich mit Auftragsentwicklung ganz aufhören wollte, eigentlich vor der Erfahrung, dass es keinen Spaß macht, davon gelaufen war.
Auftragsentwicklung machte also nun Freude - das war kein positives Denken, sondern sie machte wirklich Freude - es war eine der erstaunlichsten Wendungen meines Lebens.
Trotzdem geriet ich nach einiger Zeit in die nächste Krise:
"Es macht zwar Spaß, aber es ist definitiv nicht, was ich mir erträume - es ist nicht, was ich wirklich will"
Als nämlich mein Experiment, nur noch zu tun, was ich will, gescheitert war, hatte ich ganz damit aufgehört, das zu tun, was ich eigentlich am liebsten wollte, nämlich Bücher schreiben.
Ich hatte den Schluss gezogen, dass eben Auftragsentwicklung mein Weg sei und dass ich das endlich akzeptieren müsse anstatt immer weiter mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen.
Ich musste mich an dieser Stelle mit einer Frage auseinandersetzen, die sehr grundlegender Natur ist:
Hat der Mensch die Freiheit selbst zu entscheiden, was er tun möchte, entsprechend dem, was ihm als sein Willen in den Sinn kommt?
Oder ist der Weg des Menschen vorgegeben, durch Gott, die Seele, das Schicksal oder was oder wen auch immer?
Bedeutet Freiheit wirklich, das tun zu können, was man will?
Oder bedeutet Freiheit das tun zu wollen, was man sowieso tun muss?
Als mir das bewusst wurde, war gleichzeitig sonnenklar: So eine Idee wie die letztgenannte würde ich niemals - und auch nach Tausend Mal Scheitern nicht - akzeptieren und die Lösung lag so offensichtlich vor mir, dass ich mich wunderte, es nicht schon längst gesehen zu haben:
Seit die Auftragsentwicklung Spaß machte, waren mehrere Probleme meines Lebens ja gelöst und es gab genug Freiraum, noch nebenher ein bisschen Bücher zu schreiben.
Zwar konnte ich dem nicht meine komplette Zeit widmen, aber das ist eben die materielle Einschränkung, die vorübergehend zu akzeptieren war.
Ein Teil des Lebens mag Pflicht sein. Und es ist immerhin gut zu wissen und zu erfahren, dass der Pflichtteil seinen Schrecken verliert, wenn man sich ihm beherzt zuwendet, aber es gibt ihn immer: Den Teil des Lebens, der Freiheit bedeutet: Die Freiheit sich seinen eigenen kühnsten Träumen zuzuwenden.
Und noch ein anderer Irrtum klärte sich auf:
Sich der Erfahrung zu stellen "Mit dem, was ich wirklich will, verdiene ich kein Geld" bedeutet nicht, mit Auftragsentwicklung aufzuhören, sondern es bedeutet, mit dem was ich wirklich will - nämlich Bücher schreiben - anzufangen und zwar auch auf die Gefahr hin, das es sich finanziell zunächst mal gar nicht auszahlt.
Man beachte bitte bei diesem Beispiel den Unterschied zwischen Krise und Crash. Sich in eine Krise hineinfallen zu lassen bedeutet nicht unbedingt, einen Crash zu produzieren. Das ist ein komplexes Thema, das zudem noch sehr individuell ist:
- Sich in eine Krise hineinfallen zu lassen heißt in meiner Terminologie vor allem, sich mit der Tatsache zu konfrontieren, dass man für eine Sache, für die man gerne eine Lösung hätte, keine Lösung hat. Man bildete es sich nur ein, während man immer weiter völlig wirkungslose Dinge tat.
- Das natürliche Ende einer Sache (z.B. Beziehung, Job, Unternehmen) ist kein Crash.
- ein natürliches Ende zu ignorieren, führt regelmäßig zu Crashs (in Beziehungen, Unternehmen, Jobs)
- Das Ende eines Unternehmens, bei dem Menschen um hohe Geldsummen gebracht werden, ist zum Beispiel ein Crash. Es ist ein Ende, das lange verschleppt wurde.
- Crashs entstehen dadurch, dass vor bestimmten Entwicklungen immer weiter die Augen verschlossen werden
- Die Konfrontation mit einer Krise verhindert einen Crash vielfach.
- Die meisten Krisen haben mit Crashs ganz und gar nichts zu tun und sind einfach nur (vorübergehend) unlösbare emotionale Situationen.
- Einen Crash, der als Erfahrung ansteht verhindern oder aufhalten zu wollen, ist nicht sinnvoll. Wenn ein Crash einmal als Erfahrung da ist, dann heißt es, sich dem Crash zu stellen.